Alpträume, Alptraumthemen & luzides Träumen bei einer Gruppe männlicher JVA-Inhaftierter

Einflussfaktor Substanzgebrauch

Ca. 2/3 der Pbn gaben an, im letzten Monat „Schlafmittel“ eingenommen zu haben, wobei dies nicht zwangsläufig Schlafmittel im pharmakologischen Sinne sind. Erwähnt wurden Neuroleptika oder Antidepressiva, (Quetiapin, Doxepin), Substitutionspräparate (Methadon) sowie illegale Substanzen (Heroin) zumindest in der Vorgeschichte.

Weil diese Substanzen Parasomnien begünstigen und Alpträume induzieren können, sollte deren Einfluss in künftigen Studien kontrolliert werden. Entsprechend umfassend sollten Medikation und Substanzgebrauch inkl. Vorgeschichte erhoben und idealerweise toxikologisch objektiviert werden.

Parasomnien

Das Auftreten von Alpträumen und anderen Parasomnien wird durch Stress, Traumata, veränderte Schlaf-Wach-Rhythmik, REM-/Tiefschlaf-Rebound-Effekte, aber auch interne und externe Weckreize begünstigt.

Somit verwundern die erhöhten Raten an Parasomnien in der vorliegenden Studie im Vergleich zu den spärlichen, ungenauen und nichtrepräsentativen Daten aus der Literatur nicht.

Zieht man die Daten der gesunden Kontrollen aus der Validierungsstudie des MUPS [11] zum Vergleich heran (Abb. 1), scort bei allen abgefragten Parasomnien mit Ausnahme von Enuresis nocturna unsere Stichprobe höher. Am stärksten ausgeprägt sind die Differenzen bei Night-Eating, rhythmischen und periodischen Beinbewegungen, Alpträumen und RBD. Auch wenn es eher psychiatrischen als Schlafstörungspatienten ähnelt, zeigt sich bei unserer Stichprobe ein spezifisches Profil, das stärker ausgeprägt, aber annähernd parallel zu dem einer eigenen Stichprobe Traumatisierter verläuft.

Methodisch einschränkend ist die Operationalisierung rein über Selbstbeurteilung: Einige Parasomnien sind der Selbstbeobachtung allenfalls begrenzt zugänglich. Eine den Klassifikationskriterien entsprechende reliable Diagnose erfordert bei einigen Parasomnien (u. a. RBD) eine (Video‑)Polysomnographie – welche allerdings auch in den wenigen epidemiologischen Studien i. d. R. fehlt.

Alpträume

Alpträume zeigen sich in unserer Stichprobe häufig, stark ausgeprägt und mit hohem Leidensdruck assoziiert.

Ein Vergleich der Alptraumfrequenz mit einer repräsentativen Stichprobe deutscher Männer [22], in der knapp die Hälfte „nie“, und 18 % < 1 ×/Jahr Alpträume hat, zeigt einen denkbar starken Kontrast mit einer fast umgekehrten Häufigkeitsverteilung (Abb. 6).

Abb. 6figure 6

Alptraumfrequenz (Mannheimer Traumfragebogen – MADRE) im Vergleich

Die hohen Prävalenzen von Alpträumen könnten u. a. auf komorbide PTBS und Depressionen zurückzuführen sein, aber auch substanzinduziert über o. g. Substanzen oder deren Absetzen. Alptraumätiologisch finden sich in den Fragebögen neben mehrfachen Hinweisen auf (über REM-Rebound) Alptraum-induzierende Substanzen auch solche auf posttraumatische Genese, z. B. Erwähnung von Kriegs- und Nahtoderfahrungen.

Hinzu kommen kaum realisierbare Schlafhygiene, Störreize, die zu Arousals führen können, und eine ggf. als unsicher erlebte Schlafumgebung in der Zelle. Im viel genutzten Freifeld für Verbesserungsvorschläge zum Schlaf in der JVA gab es mehrfach Hinweise auf schlafstörende Bedingungen, die im Kontrast zu Schlafhygieneempfehlungen stehen (z. B. Beleuchtung, Störgeräusche, nicht lüften können).

Luzides Träumen

Die Rate luzider Träume unserer Pbn lag, erst recht für eine männliche Stichprobe mittleren Alters [24], erstaunlich hoch. Im Vergleich mit einer repräsentativen deutschen Umfrage [24], in der 51 % angaben, den Zustand der Luzidität zu kennen, gilt dies für 63 % unserer Pbn. 48 % träumten mind. 1 × monatlich luzide, 15 % sogar ein- bis mehrfach pro Woche, was in der repräsentativen Studie nur 4,9 % taten.

Eine Erklärung, die durch die Korrelation mit der Alptraumbelastung untermauert wird, könnten Traumabewältigungs- und selbstheilende Funktionen von luziden Träumen bei häufigen Alpträumern sein (vgl. [27]). Hierzu würden auch die umgekehrte Korrelation und der breite Range des Erstauftretensalters luzider Träume passen. Auch könnte luzides Träumen eine Art Enrichment im monotonen, eingeschränkten Haftalltag darstellen.

Zu klären bleibt, welcher Anteil der Inhaftierten nativ luzide träumt und welcher sich dies angeeignet hat. Hohe Luziditätsraten könnten psychotherapeutisch gezielt zum Rescripting von Alpträumen genutzt werden.

Alpträume und Schlafqualität

Am stärksten mit der insgesamt schlechten Schlafqualität (PSQI) unserer Pbn korrelieren RBD/DE, gefolgt von alptraumspezifischen Items: Alptraumprävalenz, Alptraumfrequenz, Anteil wiederkehrender Alpträume, Alptraumbelastung sowie wiederkehrende Alpträume mit Realitätsbezug.

Trotz methodischer Einschränkungen kann dies als Hinweis auf die Bedeutung von Alpträumen für die Gesamtschlafqualität speziell bei Inhaftierten und möglicherweise allgemein gesehen werden. Die Zusammenhänge dürften zwar bidirektional und teufelskreisartig sein, die hohen Korrelationen mit Einschlaflatenz und Durchschlafstörungen, zusammen mit dem in der Literatur beschriebenen und klinisch bei Alptraumpatient*innen häufig zu beobachtenden Phänomen der Angst einzuschlafen, wie auch mit psychophysiologischen Arousal-Aspekten sprechen jedoch für einen negativen Einfluss von Alpträumen auf die Schlafqualität. Die genauen Zusammenhänge sollten in Längsschnittstudien geklärt werden.

Alpträume und RBD/DE

Die deutlichen Interkorrelationen von Alpträumen, RBD/DE, um-sich-treten und -schlagen im Schlaf sowie wiederkehrenden Alpträumen mit Realitätsbezug (die als Hinweise auf posttraumatische Wiederholungen verstehbar sind) lassen – gerade bei der untersuchten Population – an das Konzept der Trauma-assoziierte Schlafstörung (TASD) als verbindendes Element denken. TASD wird in jüngerer Zeit als mögliche distinkte Parasomnie diskutiert, die traumainduziert ist und im klinischen Bild Symptome von Alptraumstörung, REM-Schlaf-Verhaltensstörung und PTBS vereint [16].

Eine alternative Erklärung für die vergleichsweise hohen Raten an DE und positiver RBD1Q sowie deren korrelative Zusammenhänge mit Alpträumen stellen substanzinduzierte RBD/DE dar.

Alptraumthemen

Die berichteten Alptrauminhalte können als Beleg der Kontinuitätshypothese (Haftbedingungen, Gewalt‑, Drogenerlebnisse), der „threat simulation theory“ (Bedrohung durch Verlust, Rückfall, körperliche Auseinandersetzung, Konflikte) und als Selbstheilungsversuch (vgl. [27]) bzw. (möglicherweise misslungene) Trauma-(Eigen‑)Exposition gesehen werden. Bei Inhaftierten mit Suchthintergrund oder unter Substitution könnten Entzugserscheinungen Trigger für o. g. Konsumalpträume darstellen.

Limitationen

Methodisch einschränkend ist zu unterstreichen, dass die untersuchte Stichprobe klein und alles andere als repräsentativ ist. Durch Hafteinrichtungen wie Inhaftierte bestand eine doppelte Selbstselektion über unbekannte Mechanismen.

Die Daten sind auf eine einzelne JVA beschränkt, wobei JVAs bzw. deren Haftarten (z. B. U‑/Strafhaft) und Haftbereiche nur begrenzt vergleichbar sind, erst recht international. Außerdem ist die Aussagekraft auf männliche Inhaftierte reduziert, die zwar den Großteil der Strafgefangenen ausmachen, welche im Vergleich zu weiblichen Inhaftierten aber möglicherweise sogar geringere Alptraum‑/PTBS-Prävalenzen aufweisen.

Rekrutierungsumsetzung (interne Kommunikation, Aushänge) und Wahrung des Studienprotokolls bzgl. Anonymität, Ausfüllsetting, Rücksendung konnten Lockdown-bedingt weder beeinflusst noch überprüft werden. Offen bleibt, ob die Pandemielage zu schlechtem Schlaf und Parasomnien beigetragen hat, wobei die Erhebung 15 Mon. nach Pandemiebeginn zur Zeit der abgeebbten dritten Welle mit einstelligen 7‑Tage-COVID-Inzidenzen lief. In den Antworten fanden sich keinerlei Hinweise auf COVID, Lockdown oder Pandemie, Alptrauminhalte ähnelten erstaunlich denen aus aktuelleren wie historischen Fallserien.

Aufgrund des Selbstbeurteilungsverfahrens in Kombination mit evtl. unsicherer Anonymität gegenüber dem JVA-Personal sind unbeabsichtigte wie bewusste Antwortverzerrungen (De- oder Aggravationstendenzen aufgrund sozialer Erwünschtheit, Erhoffen von Erleichterungen, Angst vor Sanktionen) denkbar.

Störfaktoren und Moderatorvariablen wie Medikamente, Substitution, Drogen, psychiatrische und physische Komorbiditäten, aber auch Traumerinnerungsfrequenz und Schlafstörungen in der Vorgeschichte wurden nicht erhoben bzw. kontrolliert.

Unklar und unkontrolliert bleibt auch, ob und in welcher Form eine Behandlung(smöglichkeit) der Schlafstörungen bestand.

Empfehlungen für künftige Forschung

Bei einer Replikation sollten o. g. methodische Schwächen und Limitationen ausgeglichen werden. Aufgrund begrenzter Validität der Selbstauskunftsdaten sollten idealerweise Fremdanamnesen und medizinische Akten hinzugezogen werden.

In Studien zu Schlafqualität und Insomnien Inhaftierter wurden Alpträume bislang nicht berücksichtigt. Entsprechend sollten Wechselwirkungen zwischen Insomnien, Parasomnien aber auch atmungs- oder bewegungsbezogenen Schlafstörungen sowie psychiatrischen Erkrankungen (insb. PTBS, Depression, Subtanzabhängigkeit) mitgedacht und möglichst längsschnittlich untersucht werden. Auch sollten Alptraumstörung und idiopathische, substanzinduzierte und symptomatische Alpträume differenziert werden.

Nicht zuletzt sollten effiziente und für den speziellen Kontext des Justizvollzugs nutzbare evidenzbasierte Interventionen für Schlafstörungen und insbesondere Alpträume entwickelt und evaluiert werden. Interventionsstudien sollten klären, ob alptraumspezifische Interventionen Effekte auf Lebens- und Schlafqualität, Insomnien, andere Parasomnien und komorbide psychiatrische Störungen haben, insb. PTBS und Substanzgebrauchsstörungen. Ebenso sollten Effekte auf Aggressivität, Impulskontrolle, Suizidalität Inhaftierter und im Langzeitverlauf auf den Resozialisationserfolg erforscht werden.

Eine eigene Interventionsstudie mit Elementen der Luzid-Traum-Therapie und Imagery-Rehearsal-Therapie für Inhaftierte ist hierzu in Vorbereitung.

Empfehlungen für JVAs

Da unbehandelte Schlafstörungen das Tagesfunktionsniveau beeinträchtigen und Reizbarkeit wie Aggression fördern [8] können, sollte in JVAs systematisch nach Schlafstörungen inkl. Alpträumen gescreent und leitliniengemäße Behandlungsangebote etabliert werden. Alptraumspezifisch ist zu ergänzen, dass möglicherweise komorbide insomnische, depressive und posttraumatische Beschwerden, Suizidalität/Suizide [1, 20] und evtl. auch Substanzmissbrauch von Inhaftierten reduziert werden könnten, wenn Alpträume adäquat behandelt würden, z. B. mit Imagery-Rehearsal-Therapie (IRT) oder Luzid-Traum-Therapie. IRT in Haftgruppen [15] oder in selbstständiger Anwendung nach postalischer Anweisung [3] könnten eine ökonomische Option in JVAs darstellen.

Gerade weil nichtpharmakologische Ansätze in JVAs von besonderem Vorteil und Gruppensettings bei Schlafstörungen und Alpträumen vielversprechend sind, sollten solche evaluiert und ggf. implementiert werden. Traum-Gruppen in Hafteinrichtungen, unterschiedlich umgesetzt von Bulkeley [2], DeHart [7], aber auch seinerzeit von Auschwitz-Häftlingen [17], könnten ein fruchtbarer Ansatz sein, Selbstreflektion, Lebensqualität und Selbstwert von Inhaftierten sowie Gruppenprozesse und -atmosphäre zu fördern.

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