COVID-19-Impfung für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen

Risiko für Nichtimpfung

Im COVID-Ψ-Ambulant-Survey wurde ein Risiko für einen nicht ausreichenden COVID-19-Impfschutz insbesondere bei Menschen mit Schizophrenien und anderen psychotischen Störungen gesehen, aber auch bei Menschen mit affektiven Störungen, Angststörungen und Persönlichkeitsstörungen und diagnoseübergreifenden psychopathologischen Symptomen wie schweren Antriebsstörungen. Weiterhin wurden psychosoziale Bedingungen wie fehlende soziale Einbindung, schwierige soziale Situation und fehlender fester Wohnsitz, ein niedriger Bildungsstatus und der Glaube an Verschwörungstheorien genannt. In der internationalen Literatur (siehe eTabelle 2) beschrieb ein größerer Teil der Studien eine im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung niedrigere vollständige Impfrate bei Menschen mit psychischen Erkrankungen [6, 15,16,17,18,19,20,21]. Wenige Studien fanden eine gleiche oder höhere Impfrate [22,23,24,25], wobei in all diesen Studien Strategien und Programme zur Förderung einer hohen Impfrate eingesetzt wurden. Unter Patient*innen in psychiatrischen Krankenhäusern in Deutschland zeigten sich niedrigere vollständige Impfraten als in der Allgemeinbevölkerung. U. a. durch Impfangebote vor Ort konnte allerdings sogar eine höhere Teilimpfrate als in der Allgemeinbevölkerung erreicht werden [21].

Zusammenfassend wurden als Risikofaktoren für Nichtimpfung bisher vor allem die Diagnosekategorien Schizophrenie/Psychosen [6, 16, 19,20,21, 26, 27], jedoch teilweise auch Substanzmissbrauch [21, 28, 29], schwere affektive Störungen [22, 26, 27] und Angst‑, Zwangs- und Belastungsstörungen [21] identifiziert. Andere Studien fanden bei Menschen mit schweren affektiven Störungen höhere Impfraten als in der Allgemeinbevölkerung [21, 27] bzw. bei Menschen mit Depressionen und Angststörungen eine höhere Bereitschaft, für Impfungen zu zahlen [30]. In weiteren Studien hatte der Faktor Diagnosekategorie keinen Einfluss auf die Impfraten bzw. Impfbereitschaft [24, 25, 31, 32]. Weitere in mehreren Studien als Risikofaktoren für Nichtimpfung genannte Aspekte waren ein junges Alter [21, 23, 32,33,34,35], Fehlen eines festen Wohnsitzes [23, 29], ein geringes Bildungsniveau [18, 33, 35, 36], allgemein soziale Benachteiligung bzw. ein niedrigerer sozioökonomischer Status [6, 26, 29] sowie als weiterer Aspekt eine (stationäre) Behandlung gegen den Willen der Betroffenen [16, 21]. In einigen Studien hatten Frauen ein höheres Risiko für Nichtimpfung bzw. eine geringere Impfbereitschaft [17, 19, 33, 34], in anderen Männer [16, 19, 36], in weiteren hatte das Geschlecht keinen Einfluss [21, 22, 24, 25, 32].

Zudem untersuchten internationale Arbeiten auch Motive dafür, sich nicht impfen zu lassen. Sie identifizierten u. a. Sorgen bez. Nebenwirkungen der Impfung, Misstrauen oder vermehrt negative Affekte bez. der Impfstoffe [15, 17, 18, 22, 23, 26, 29, 35, 37, 38], Probleme bzw. fehlende Unterstützung beim Zugang zu Impfungen [15, 17, 23, 29], mangelndes Wissen bez. Indikation und Dringlichkeit [15, 23, 29] und Studien aus den USA fanden „Misstrauen in die Regierung“ als Faktor [17, 23, 29].

Strategien zur Förderung der Impfbereitschaft

Im Survey empfahlen die teilnehmenden Psychiater*innen und Nervenärzt*innen niederschwellige Informationen und Impfungen selbst durch das für die Betroffenen vertraute psychosoziale Versorgungssystem unter Einbeziehung der sozialpsychiatrischen Dienste und komplementären psychosozialen Träger. Komplexe (digitale) Anmeldeprozesse und unbekannte zentrale Impfzentren können eine Hürde für Menschen in schwierigen sozialen Situationen, mit schweren Antriebsstörungen, eingeschränkter Mobilität, sozialem Rückzug oder (psychotischen) Ängsten und Misstrauen darstellen. Die Herausforderung besteht darin, dies im – in Deutschland regional sehr heterogen organisierten – psychosozialen Versorgungssystem flächendeckend umzusetzen. Ein wichtiger Aspekt dafür ist, dass diese Leistungen sich auch finanziell abbilden lassen.

Viele dieser Elemente wurden in den (wenigen) international beschriebenen Programmen zur Förderung der COVID-19-Impfraten bei Menschen mit psychischen Erkrankungen sehr erfolgreich aufgegriffen: eine auf Menschen mit psychischen Erkrankungen spezialisierte Beratung und Aufklärung über die Impfung [23, 24, 39] und die gezielte Ansprache von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen während Kontakten zum (bekannten) psychiatrischen Versorgungssystem, z. B. während Krankenhausaufenthalten [21, 24, 25, 31]. Weitere Maßnahmen waren: die gezielte (z. B. telefonische) Ansprache von Risikogruppen, wobei der Risikogruppenstatus anhand von Vorkontakten zum Versorgungsystem erschlossen wurde; ein Monitoring-Tool in der elektronischen Patientenakte, welches Gesundheitspersonal auf den Ungeimpftstatus hinwies [23]; die gezielte Schulung von psychiatrischem Personal in „motivational interviewing“ und evidenzbasierter Aufklärung [23]; die Unterstützung bei logistischen Zugangsproblemen und Einbeziehung des komplementären Systems in die Lösung der Zugangsprobleme [23]. Limitierend ist hinzuzufügen, dass es sich bei den genannten Arbeiten um keine kontrollierten Studiendesigns handelte. Für die Praxis leiten sich die Empfehlungen in Tab. 1 ab.

Limitationen

Limitationen der vorliegenden Arbeit sind einerseits die Methodik: Die eher geringe Beteiligung am Onlinesurvey und den beiden hier ausgewerteten Fragen schränkt die Aussagekraft ein. Auch wenn die Häufigkeit der Nennung der gebildeten Kategorien angegeben wurde, lässt sich das Ausmaß des Problems mit der angewendeten Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nicht quantitativ abschätzen. Zudem lässt sich aus der Perspektive der befragten ambulant tätigen Psychiater*innen und Nervenärzt*innen nur eingeschränkt auf die Situation des gesamten Gesundheitssystems schließen. Insbesondere fehlen bislang Studien, welche die Perspektive der betroffenen Menschen mit psychischen Erkrankungen zur Frage der COVID-19-Impfungen untersuchen.

Tab. 1 Empfehlungen für die Praxis Infobox Erfahrungen aus der klinischen Praxis der LMU München

Menschen mit Opioidabhängigkeit sind in besonderem Ausmaß durch psychische und somatische Komorbiditäten belastet. Deshalb wurde allen Betroffenen bereits kurz nach Verfügbarkeit von Impfstoffen die Zugehörigkeit zu einer Hochrisikogruppe nach damaliger Coronavirusimpfverordnung attestiert, um eine Impfung mit hoher Priorität zu ermöglichen. Die Patient*innen hatten zwar somit erleichterten Zugang zu den Impfzentren, dies konnte aber nur von etwa einem Drittel genutzt werden. Viele der Betroffenen hatten große Schwierigkeiten, die komplexen Anforderungen der (digitalen) Terminanmeldung zu erledigen bzw. die festgelegten Termine wahrzunehmen.

Im LMU Klinikum wurde deshalb frühzeitig geplant, ein Impfangebot in der Substitutionsambulanz zu ermöglichen. Die Planungen wurden logistisch von der zuständigen Gesundheitsbehörde unterstützt.

Im Vorfeld erfolgte eine Umfrage unter den Betroffenen: 89 % sprachen sich für die Wahrnehmung eines Impfangebots vor Ort aus. Etwa die Hälfte gab an, dass dadurch das Stress- und Belastungslevel reduziert werden könnte. Eine initiale Überlegung, einen Vektorimpfstoff mit Einmaldosis (Janssen®, Jcovden, Janssen-Cilag GmbH, Neuss, Deutschland) mit geringer Anforderung an die Termincompliance einzusetzen, wurde verworfen: Einerseits wünschte die große Mehrzahl der Befragten eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff, andererseits sollte gerade für diese besonders vulnerablen Personen der Impfstoff mit dem zum damaligen Zeitpunkt besten Schutz gewählt werden (Comirnaty®, BioNTech RNA Pharmaceuticals GmbH, Mainz, Deutschland & Pfizer Inc, New York City, NY, USA; Spikevax®, Moderna Inc, Cambridge, MA, USA). Alle Patient*innen erhielten daher ein Impfangebot für zwei Impfungen im Abstand von 4 bis 6 Wochen mit dem Impfstoff Comirnaty®. Die Compliance war gut, sodass von den Impfwilligen etwa 90 % den Impfzyklus komplett abschließen konnten. Ende 2021 erfolgte das Angebot einer Booster-Impfung, dies wurde von etwa der Hälfte der vollständig Immunisierten angenommen.

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