fzm, Stuttgart, Februar 2022 – Magersucht und Bulimie gelten in der Öffentlichkeit als Frauenerkrankungen. Dabei betreffen schätzungsweise 25 bis 30 Prozent der Essstörungsdiagnosen Männer. Wie eine Expertin in der Fachzeitschrift „PiD Psychotherapie im Dialog“ (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2022) berichtet, leiden sie oft unter einer sogenannten muskelorientierten Essstörung. Durch ihre Ernährungsweise und gesteigerte sportliche Aktivität erscheinen die Betroffenen zunächst als gesundheitsbewusst. Die Diagnose sei daher schwierig, auch weil Männer noch seltener Hilfe suchten als erkrankte Frauen.
Grundsätzlich zeigen Männer mit einer Essstörung ein ähnliches Verhalten wie betroffene Frauen: Aus Angst, an Körpergewicht zuzunehmen, setzen sie alles daran, ihr Gewicht zu kontrollieren. Essattacken kompensieren Betroffene, indem sie erbrechen, Abführmittel missbrauchen, fasten oder exzessiv Sport treiben. Trotz Untergewicht empfinden sie sich als zu dick. Aufgrund dieser Körperbildstörung fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten als „krank“ einzustufen. „Extreme Disziplinanforderung und überdimensionaler Leistungsanspruch in verschiedensten Lebensbereichen bilden häufig den Kontext der Anorexia nervosa – der Magersucht“, erklärt Psychologin und Psychotherapeutin Professor Dr. Barbara Mangweth-Matzek. Die Expertin für Essstörungen ist an der Medizinischen Universität Innsbruck, Department für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Medizinischer Psychologie tätig.
Muskelorientierte EssstörungHäufiger als Frauen sind Männer vor der Erkrankung übergewichtig. Weniger zu essen und eine gesteigerte sportliche Aktivität werden dann als gesundheitsbewusst und nicht als Anzeichen einer Essstörung gewertet. „Das Erkennen von pathologischen Mustern im Zusammenhang mit Sport ist sehr schwierig“, so die Autorin. Männliche Essstörungen seien oft muskelorientiert. Die Betroffenen strebten nach einem übermäßig muskulösen Körper mit geringstmöglichem Fettanteil. Regelmäßiges Krafttraining sowie klare Essensvorgaben dominierten den Alltag. Damit verknüpft ist die sogenannte Muskeldysmorphie, ein gestörtes Selbstbild. Dabei erscheint den Betroffenen die Ausprägung der eigenen Muskulatur im Vergleich zu ihrer Idealvorstellung nie ausreichend.
Zusammenhang von sexueller Orientierung und männlicher EssstörungUntersuchungen zeigen, dass Essstörungen bei Männern mit homo- oder bisexueller Orientierung öfter auftreten. Homosexuelle Männer sind mit zwei bis acht Prozent deutlich häufiger betroffen als heterosexuelle mit 0,3 bis zwei Prozent. Als Grund dafür werden verschiedene Erklärungen angeführt: „Nicht-heterosexuelle Männer erleben ihren Körper oft als Objekt, welches einem schlanken, muskulösen Schönheitsideal unterworfen und damit auch häufig mit Körperunzufriedenheit assoziiert ist“, führt die Expertin aus. Zudem könne die Essstörung als Folge von Stress auftreten, dem sie als Angehörige einer gesellschaftlichen Minderheit ausgesetzt sind.
Doppelte Stigmatisierung erschwert Suche nach HilfeBetroffene beider Geschlechter schämten sich, stritten die Erkrankung ab und zögen sich zurück. Bei Männern komme hinzu, dass sie, so die öffentliche Wahrnehmung, unter einer typischen Frauenerkrankung leiden. Das komme einer doppelten Stigmatisierung gleich. „Dass Betroffene ihr Essstörungsleid von sich aus ansprechen, ist deshalb kaum zu erwarten. Gestörtes Essverhalten muss entweder routinemäßig oder bei Verdacht in der ärztlichen oder therapeutischen Praxis klar und empathisch erfragt werden“, betont Mangweth-Matzek.
B. Mangweth-Matzek
Herausforderung Gender und Essstörungen: Essstörung ist
nicht (nur) weiblich
PiD Psychotherapie im Dialog 2022; 23 (1); S. 34–37
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