Kortikosteroide und adrenocorticotropes Hormon bei Epilepsien der frühen Kindheit jenseits des Säuglingsalters

Studienqualität und Verzerrungsrisiken

Unter den 38 eingeschlossenen Studien fanden sich eine randomisiert kontrollierte, und eine prospektiv kontrollierte Studie mit alternierender Zuweisung zweier verschiedener Steroide nach Aufnahmezeitpunkt in die Klinik. Fünf weitere prospektive Studien untersuchten je ein Steroid ohne Kontrollen. Die übrigen berichteten über retrospektive Fallserien mit einem (N = 25), 2 (N = 6) oder mehr (N = 1) verschiedenen KSTs oder ACTH. In 30 von 38 Studien wurde die Indikation zur Steroidbehandlung angegeben mit schwerer Epilepsie mit Resistenz gegen mindestens 2 oder mehr ASMs, schweren, meist generalisierten/diffusen Spike-Waves im EEG und kognitiver Verschlechterung. Fünf Arbeiten schlossen ausschließlich Patienten mit DEE-SWAS (entwicklungsbedingte und/oder epileptische Enzephalopathie mit Spike-and-Wave-Aktivierung im Schlaf) oder Landau-Kleffner-Syndrom ein, die meisten jedoch verschiedene Syndrome. Die Erfassungsperiode betrug bei den prospektiven Studien 1 bis 5 (meist 2) Jahre, bei den retrospektiven Studien jedoch 2 bis 26 (meist 10 bis 12) Jahre. Während die meisten Autoren angaben, alle behandelten Patienten im erfassten Zeitraum eingeschlossen zu haben, bleibt häufig unklar, welcher Teil der Patienten mit bestehender Indikation wegen beispielsweise Kontraindikationen oder Ablehnung der Eltern nicht behandelt wurde. Wichtige Einflussvariablen wie Ätiologie und Behinderungsgrad wurden in sehr unterschiedlicher Detailliertheit angegeben, MRT(Magnetresonanztomographie)-Befunde und molekulargenetische Untersuchungen finden sich nur selten und naturgemäß nur in neueren Studien. Die Anfallsfrequenz wurde meist durch Elternbeobachtung und -protokollierung geschätzt, quantitative Angaben in den Publikationen beschränkten sich fast immer auf Raten gebesserter Patienten. Quantitative Angaben zum EEG-Verlauf wurden nur selten anhand des Spike-Index angegeben, überwiegend bei den DEE-SWAS-Studien. Verhaltensauffälligkeit und kognitive Funktionen wurden meist klinisch geschätzt und nur selten psychometrisch erfasst. Nebenwirkungen wurden häufig nur anamnestisch erhoben, in etwa der Hälfte der Studien jedoch zumindest in der initialen Behandlungsphase prospektiv erfasst. Insgesamt ergibt sich v. a. bei den retrospektiven Studien ein in hohem Maße variables Bild mit häufig ernstem, vielfach aber auch nur moderatem Verzerrungsrisiko. Von einem günstigeren Risiko kann nur bei den prospektiven, kontrollierten Studien ausgegangen werden.

Behandlung

Es kam eine Vielzahl verschiedener KST, außerdem natürliches (USA) und synthetisches (Europa, Japan) ACTH in unterschiedlichen Dosierungen und Protokollen zum Einsatz. Traditionell handelte es sich dabei zunächst um eine relativ hoch dosierte Initialphase, der nach Erfolgseintritt oder vorgegebener Dauer eine schrittweise Dosisreduktion folgte. Die Größe der Schritte und die Dauer der Dosisreduktion waren wiederum sehr variabel, häufig abhängig von klinischen oder EEG-Rezidiven. Erst in neuerer Zeit wurde häufiger ein gepulstes Behandlungsschema eingesetzt mit mehreren ein- bis mehrtägigen Pulsen im Wochen- oder Monatsabstand für variable Dauer. Um dennoch eine gemeinsame Auswertung der Studien zu ermöglichen, haben wir die Medikamente in Gruppen zusammengefasst (Tab. 1) und die Dosierungen der verschiedenen KST in Kortisoläquivalente umgerechnet. Zur angenäherten Umrechnung auch der ACTH-Dosen in KST-Äquivalente haben wir uns auf Ergebnisse von 2 neueren Arbeiten gestützt, die allerdings bei erwachsenen Patienten erhoben wurden [3, 4]. Die unterschiedlichen Behandlungsdauern, Ausschleichphasen und Nachuntersuchungsdauern haben wir dadurch berücksichtigt, dass wir frühe Effekte bei Ende der Initialbehandlung oder kurz danach von anhaltenden Befunden im späteren Verlauf, häufig nach Auftreten von Rezidiven getrennt erfasst haben. Als Einflussvariable für die statistischen Berechnungen haben wir eine kumulierte Dosis in mg/kg Körpergewicht Kortisoläquivalent über die gesamte Initialtherapie berechnet.

Tab. 1 Studienmedikamente und MedikamentengruppenMetaanalyse der Effekte

Die Metaanalyse der aggregierten Daten aller 38 eingeschlossenen Studien ergab, dass die Rate der primären Endpunkte „frühe Anfallsabnahme um mehr als 50 % (= Response)“ und „frühe EEG-Besserung um mehr als 50 % (= Response)“, gemittelt über alle eingeschlossenen Studien und ihre Behandlungsarme, 0,60 (95 %-KI [Konfidenzintervall] 0,52–0,67) und 0,56 (95 %-KI 0,43–0,68) betrug. Nach Beendigung der Behandlung oder bereits während der Dosisreduktion betrug die Rate der Patienten, die einen Rückfall erlitten, unter allen Behandelten 0,33 (95 %-KI 0,27–0,40). Längerfristig hielten eine Anfallsresponse bei 0,39 (95 %-KI 0,30–0,49) und eine EEG-Verbesserung bei 0,52 (95 %-KI 0,38–0,66) der Patienten an. Diese und die Ergebnisse der weiteren Ergebnisvariablen sind in Tab. 2 aufgeführt.

Tab. 2 Metaanalyse der 38 Studien, aggregierte Daten, Random-effects-Modell

Subgruppenanalysen nach Medikamentengruppen ergaben für alle Endpunkte keinen signifikanten Unterschied (Tab. 3). Für den Endpunkt „frühe Anfallsresponse“ lag die gepoolte Rate in Studien mit ACTH nicht signifikant um 0,10–0,15 höher im Vergleich zu den KST. Die verbleibende Heterogenität zwischen den ACTH-Studien war jedoch deutlich größer als dieser Unterschied. Insgesamt war die Heterogenität zwischen den Endpunkten innerhalb der Gruppen sehr groß, ohne Zusammenhang mit der Medikation oder der Epilepsieart. Die Heterogenität des primären Endpunktes „frühe Anfallsresponse“ war jedoch in prospektiven Studien geringer als in den retrospektiven Serien. Das deutlichste Ergebnis unserer Metaanalysen ist ein starker Zusammenhang zwischen dem Behandlungsschema und dem unerwünschten Ereignis „Übergewicht oder Cushing-Syndrom“. Der gepoolte Anteil ist bei gepulstem intravenösem Methylprednisolon (ivMP) oder Dexamethason gering und bei kontinuierlicher Behandlung mit ACTH oder oralen KST hoch (Abb. 1).

Tab. 3 Metaanalyse der 38 Studien, aggregierte Daten, Random-effects-Modell, Endpunkt früher Anfallsresponse, Subgruppenanalyse MedikamentengruppeAbb. 1figure 1

Metaanalyse der Studien [5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18] mit prospektiver Erfassung von Nebenwirkungen, aggregierte Daten, Random-effects-Modell, Endpunkt Übergewicht und Cushing-Syndrom, Subgruppenanalyse der Medikamentengruppe. ACTH adrenokortikotropes Hormon, ASM „anti-seizure medication“ (Anfallssuppressiva), ivMP intravenöses Methylprednisolon, SG Subgruppe. (Abbildung aus [2])

Zusätzlich führten wir multivariable Metaregressionstests durch. Deren Ergebnisse deuten auf einen positiven Effekt der ACTH-Behandlung und des Epilepsietyps DEE-SWAS/LKS (Landau-Kleffner-Syndrom) und auf einen negativen Effekt einer symptomatischen Ätiologie auf einen oder beide der primären Endpunkte (Anfall und/oder EEG-Response) hin. Die kumulative Medikationsdosis über die Initialtherapie erwies sich hingegen nicht als bedeutsamer Faktor.

Individuelle Ergebnisse der prospektiv kontrollierten Studien

Grosso et al. teilten Patienten mit therapierefraktärer Epilepsie einer offenen Behandlung mit oralem Hydrocortison oder Deflazacort (Oxazolinderivat von Prednisolon) abwechselnd in der Reihenfolge der Krankenhausaufnahme zu [5]. Hydrocortison wurde täglich jeweils für einen Monat mit 10 mg/kg, 5 mg/kg, 2,5 mg/kg und 1 mg/kg verabreicht, und anschließend für 2 Monate mit 1 mg/kg an jedem zweiten Tag. Deflazacort wurde während des gesamten 12-monatigen Studienzeitraums in einer täglichen Dosis von 0,75 mg/kg verabreicht. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit der KSTs wurden nach 6 Monaten und bei einer 12-monatigen Nachuntersuchung bewertet. Es wurden 16 Patienten mit Hydrocortison (Gruppe 1) und 19 mit Deflazacort (Gruppe 2) behandelt. Nach 6 Monaten gab es 44 % Responder (> 50 % Anfallsverbesserung) in Gruppe 1 und 47 % in Gruppe 2; 87 % der Responder in Gruppe 1 rezidivierten 2 Wochen bis 3 Monate nach Absetzen von Hydrocortison zum Ausgangswert. In Gruppe 2 lag die Rückfallquote bei nur 22 % (p = 0,04). In Gruppe 1 erlitten 37 % der Patienten mindestens eine unerwünschte Wirkung (BMI [Body Mass Index] > 97. Perzentile, Cushing-Syndrom, Hypertonus und andere), in Gruppe 2 beendete nur ein Patient Deflazacort nach 12 Monaten aufgrund von Magenschmerzen. Die wesentlich geringere Rückfallquote nach 12 Monaten in Gruppe 2 ist wahrscheinlich auf die kontinuierliche Behandlung über diesen Zeitraum zurückzuführen und nicht auf einen medikamentenspezifischen Effekt.

In einer kürzlich veröffentlichten randomisierten, kontrollierten Studie wurde die gepulste Behandlung mit ivMP mit einer Standardtherapie mit ASM verglichen [6]. Nach Screening von 100 Kindern wurden 91, die die Einschlusskriterien erfüllten, in die Studie aufgenommen. In den ersten 4 Wochen wurde die ASM bei allen Kindern optimiert. Nach dieser Grundphase wurden jeweils 40 Patienten für eine Open-label-Behandlung mit ivMP + ASM oder unveränderter Standard-ASM randomisiert (11 waren vor der Randomisierung ausgeschieden). IvMP (30 mg/kg) wurde über 4–6 h an 5 Tagen/Monat für 3 aufeinanderfolgende Monate (12 Wochen) verabreicht. Die primären und sekundären Endpunkte Anfallshäufigkeit, EEG und VSMS (Vineland Social Maturity Scale) wurden 4 Wochen nach der letzten Dosis des dritten ivMP-Impulses bewertet. Die ITT(Intention to treat)-Analyse zeigte, dass der mediane Prozentsatz der Veränderung der Anfallshäufigkeit nach ivMP + ASM signifikant höher war als in der reinen ASM-Gruppe: 91,4 (IQR [Interquartilsabstand] 47,37–100) gegenüber 10 (IQR 0–25); p < 0,001. Die Responserate (Rückgang um mehr als 50 %) lag in der Interventionsgruppe bei 0,75 im Vergleich zu 0,15 in der reinen ASM-Gruppe (p < 0,001). In der ivMP-Gruppe wurden außer leichten Infektionen keine schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkungen beobachtet. Leider berichteten die Autoren nicht über längerfristige Befunde über 4 Wochen nach der Behandlung hinaus, sodass Informationen über Rückfälle, die nach Beendigung der Behandlung zu erwarten wären, fehlen.

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