Konservative und operative Therapiemöglichkeiten bei Frakturen des Processus coracoideus scapulae – Fallserie

Frakturen des Processus coracoideus sind komplexe Verletzungen, die nicht isoliert betrachtet werden können. Zum einen sind die zu behandelnden Patienten aufgrund des zumeist energiereichen Traumamechanismus schwer verletzt. Zum anderen treten häufig Begleitverletzungen auf, die zum Teil erst im Zusammenspiel des SSSC erhebliche Auswirkungen auf die Prognose und langfristige Funktion des Schultergürtels haben.

Über zwei Drittel (68,8 %) der Patienten in unserem Kollektiv wurden initial über den Schockraum hospitalisiert. Mehr als die Hälfte dieser Patienten wurde nach Abschluss der Diagnostik als Polytrauma mit einem ISS von ≥ 16 klassifiziert.

Die in unserer Patientenkohorte erhobene Prävalenz von Mehrfachverletzungen unterschiedlicher Körperregionen von 58,3 % deckt sich mit der von Lantry et al. [12] in der Literatur beschreibenden Rate von 60 %. Die Frakturversorgung von Korakoidfrakturen bei schwerverletzten Patienten hat eine Reihe von Implikationen, die in der Behandlung berücksichtigt werden müssen. Die Priorisierung der Verletzungen führt häufig zu einer späteren Ausversorgung als andere Frakturen. In unseren Daten zeigt sich dieses an der Versorgung am im Schnitt 9. Tag nach dem Unfallereignis (8,6 ± 7,6; 0–36 Tagen). Zusätzlich können Begleitpathologien wie Weichteilschäden erheblichen Einfluss auf die Art der operativen Versorgung und die Komplexität der Operationsplanung haben. Beispielhaft sind 2 Fälle, in denen eine traumatische Dissektion der A. subclavia ein interdisziplinäres Management durch Gefäß- und Unfallchirurgie erforderte. Zusätzlich beachtet werden muss das inhomogene Patientengut. Allein das Alter der analysierten Patienten zwischen 19 und 88 Jahren (minderjährige Patienten wurden nicht eingeschlossen) gibt Hinweise auf die unterschiedlichen Herausforderungen bezüglich Funktionsanspruch, Komorbiditäten und Belastbarkeit.

Die Indikationsstellung erfolgte in unserer Klinik nach den in Tab. 4 aufgelisteten Kriterien. Aufgrund der unterschiedlichen Verletzungsmuster und Begleitverletzungen wurden diese in einigen Fällen patientenindividuell modifiziert.

Tab. 4 Operationsindikationen bei Korakoidfraktur. (Nach [10])

Die Integrität des SSSC ist für die Behandlung von Korakoidfrakturen von essentieller Bedeutung. Über den SSSC ist die obere Extremität lateral am Schultergürtel aufgehängt. Bei einer 2fachen Unterbrechung des ringförmigen knöchern-ligamentären Komplexes durch eine Verletzung („double disruption“) liegt eine deutliche Instabilität des Schultergürtels vor, da die Kraftübertragung zwischen knöchernem Thorax und oberer Extremität unterbrochen ist [5]. Biomechanisch konnte durch Reynolds et al. [21] bei gleichzeitig vorliegender Skapulahalsfraktur anhand der Veränderung des glenopolaren Winkels die vermehrte Instabilität bei SSSC-Unterbrechung gezeigt werden. Die doppelte Unterbrechung führt u. a. zu einer Heilungsverzögerung und schlechteren funktionalen Outcome [16]. In der Literatur wird daher diese Art der Verletzung in den meisten Fällen, ebenso wie in dieser Fallserie, operativ therapiert [2].

Bei Korakoidfrakturen Ogawa Typ I und Eyres Typ IV und V liegt der Frakturspalt proximal der korakoklavikulären Bänder, sodass der SSSC bereits an einer Stelle unterbrochen ist. Im untersuchten Patientenkollektiv trat dieser Frakturtyp (Ogawa Typ I) in 45,8 % der Fälle auf. Die Kombination dieser Fraktur mit einer lateralen Klavikulafraktur nach Jäger und Breitner Typ I, einer Akromionfraktur nach Kuhn Typ II oder einer AC-Gelenkverletzung nach Rockwood Typ II ist als eine „double disruption“ des SSSC zu werten [8, 11]. In der Fallserie zeigte 18 Patienten (37,5 %) ein solches Verletzungsmuster. Instabilität im Bereich des SSSC ist ein Risikofaktor für die Bildung einer Pseudarthrose nach Fraktur des Korakoids [17].

Die operative Versorgung des Korakoids erfolgte in einem Großteil der Fälle über eine offene Reposition und eine Osteosynthese mit mindestens zwei Schrauben. Aufgrund der hakenförmigen Struktur des Processus coracoideus ist besonders auf die vorliegenden Frakturtyp nach Eyres et al. [3] zu achten. Je nach Verlauf des Bruchspalts ist eine unterschiedliche Ausrichtung der Bohrung und damit der Schraubenosteosynthese notwendig (Abb. 2 und 3). In der Literatur ist die Schraubenosteosynthese ebenfalls als das weiteste verbreitete Verfahren beschrieben. Anders als in unserer Kohorte wird von Ogawa et al. [16]eine Osteosynthese mit einer einzelnen Schraube als präferiertes Verfahren beschrieben.

Aufgrund der unterschiedlichen Begleitverletzungen bedarf es bei einem Großteil der untersuchten Fälle eine patientenindividuelle Operationsplanung. Aufgrund von Mehrfachverletzungen wurde häufig der Zugang angepasst (Abb. 4). Ebenfalls ist bereits an der durchschnittlichen Operationszeit von 152 ± 51 (47–221) min für die Versorgung der Schulterverletzungen die unterschiedliche Komplexität zu erkennen.

Zwei der ausgewerteten Frakturen waren iatrogenen Ursprungs. Bei diesen Patienten trat nach minimalinvasiver korakoklavikulären Bandrekonstruktion mit Doppelbuttonfixationssystem eine Fraktur des Processus coracoideus scapulae ([9]; Abb. 5) auf. Unter Laborbedingungen konnte gezeigt werden, dass die Bohrung von Knochentunneln zu einer Schwächung der hakenförmigen knöchernen Struktur führt [14]. In einer retrospektiven Auswertung von Panarello et al. [19] trat bei 12 von ca. 900 Patienten nach primärer korakoklavikulären Bandrekonstruktion eine Fraktur des Processus coracoideus auf. Da diese Patienten mit unterschiedlichen Operationsmethoden und daher z. T. ohne Knochentunnel versorgt worden sind, ist davon auszugehen, dass die Inzidenz in Gruppen mit Bohrung insgesamt höher liegt.

Abb. 5figure 5

Glenoidfraktur mit Beteiligung Processus coracoideus (Eyres Typ V): a intraoperative Durchleuchtung b arthroskopische Repositionskontrolle durch anterosuperiores Portal c Schraubenosteosynthese durch drei Teilgewindeschrauben postoperativ

Neben den Frakturen nach korakoklavikulären Bandrekonstruktion ist eine weitere Sonderform der Korakoidfraktur in der Literatur beschrieben. Bei der 2017 durch Plachel et al. [20] beschriebenen „triple dislocation fracture“ nach glenohumeraler Luxation kommt es neben der Verrenkung zu einer Fraktur des anterioren Glenoidrandes, des Tuberculum majus und des Korakoids. Ein Patient in unserem Kollektiv wies dieses Verletzungsmuster auf. Bei der Korakoidfraktur handelte es sich um eine Typ-I-Verletzung nach Eyres, sodass das Korakoid konservativ behandelt wurde. Die Humerusfraktur und Fraktur des Pfannenrandes wurden operativ versorgt.

Eine Pseudarthrosenbildung kam es bei den untersuchten Fällen nicht vor. Hierbei ist aber darauf hinzuweisen, dass nach der postoperativen Röntgenkontrolle keine Verlaufskontrolle bei Beschwerdefreiheit erfolgte. Die Diagnostik von Pseudarthrosen des Korakoid ist aufgrund des häufig beschwerdearmen Verlaufs erschwert [17].

Unsere Studie weist einige Limitationen auf. Aufgrund des rein retrospektiven Studiendesigns der Fallserie sind keine Aussagen zur Funktionsweise nach der operativen oder konservativen Behandlung zu treffen. Ein statistischer Gruppenvergleich ist ebenfalls aufgrund einer fehlenden Kontrollgruppe nicht möglich. Aufgrund der unterschiedlichen Begleitverletzungen, sowohl an anderen Körperregionen wie auch an der Schulter, ist zusätzlich die standardisierte Auswertung erschwert, da das Behandlungskonzept stark einzelfallabhängig war und mitunter Empfehlungen wie die vorgestellten Operationsindikationen abgeändert wurden.

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