Postoperatives Management nach dekompressiver Hemikraniektomie bei malignem Mediainfarkt – eine deutschlandweite Umfragestudie

Organisationsstruktur und Versorgungssituation

Anhand des Qualitätsberichtes des Gemeinsamen Bundesausschusses aus dem Jahr 2019 konnten gemäß Studienkriterien 456 Krankenhäuser identifiziert werden. Aufgrund datenschutzbedingter Verblindung der Eingriffszahlen wurden 245 (53,7 %) dieser Kliniken aus der Analyse exkludiert. In den verbleibenden 211 Kliniken wurden im Median 11 (IQA von 6–25) dekompressive Hemikraniektomien pro Jahr durchgeführt (Abb. 3). Die Regressionsanalyse weist auf einen Einfluss der Anzahl der versorgten ischämischen Schlaganfälle auf die Häufigkeit durchgeführter Hemikraniektomien pro Jahr hin (R2 = 0,218, p < 0,001; Abb. 3).

Abb. 3figure 3

Zusammenhang zwischen der Anzahl ischämischer Schlaganfälle und der Anzahl durchgeführter dekompressiver Hemikraniektomien, Randbereiche Verteilungsanalyse der Kliniken

Die Zentren des IGNITE-Netzwerkes repräsentieren überwiegend Ballungsräume der Schlaganfallversorgung mit Durchführung von Hemikraniektomien (Abb. 3). Von den 43 angefragten Zentren des IGNITE-Netzwerks nahmen 29 Kliniken (67,4 %) an der Onlineumfrage teil. Davon entsprachen 24/29 (82,8 %) Krankenhäusern Universitätskliniken. Über eine eigenständige neurologische Intensivstation verfügten 21/29 (72,4 %) Krankenhäuser. Drei (10,3 %) der teilnehmenden Kliniken beantworteten nur einzelne Themenbereiche der Umfrage. Eine Übersicht zum Antwortverhalten befindet sich im Onlinezusatzmaterial (Tab. 1).

Die Bettenkapazität für die teilnehmenden neurologischen Kliniken liegt zwischen 40 und 120 Betten (Median 80, IQA 72–90). Für die Stroke-Units wurde eine Gesamtkapazität von 8 bis 26 Betten (Median 15, IQA 12–16) berichtet, wobei diese neben zertifizierten auch Enhanced-care-Betten beinhaltet. Die Bettenzahlen für die Intensivstationen, welche teilweise interdisziplinär belegt sind, schwanken zwischen 4 und 46 Betten (Median 12, IQA 9,8–12,3). Kliniken mit eigenständiger neurologischer Intensivstation stehen 8 bis 16 Betten (Median 12, IQA 10–12) zur Verfügung. Sämtliche an der Umfrage teilnehmende Kliniken haben eine angegliederte interventionelle Neuroradiologie vor Ort. Bis auf 2 Kliniken verfügen alle Kliniken über eine neurochirurgische Klinik.

Nach Selbsteinschätzung der beteiligten Kliniken besteht bei 60,7 % (17/28) Erfahrung mit der Betreuung von mehr als 12 Patienten/-innen mit malignem Mediainfarkt pro Jahr. Über 57,1 % (16/28) der Kliniken verfügen über eine hausinterne SOP.

Indikationsstellung der Hemikraniektomie

Über 74,1 % (20/27) der Kliniken stellen die Indikation zur Hemikraniektomie anhand der DESTINY-Kriterien [7]. Für die Indikationsstellung einer Hemikraniektomie haben 74,1 % (20/27) keine obere Altersgrenze festgelegt. Bei 7 Kliniken, welche eine obere Altersgrenze anwenden, schwankt diese zwischen 60 und 80 Jahren (Median 70, IQA 60–75), wobei eine Klinik sich eine „individuelle Flexibilität“ vorbehält.

Über 77,8 % (21/27) der Kliniken halten an einem festgesetzten Zeitfenster ≤ 48 h nach Symptombeginn für die Durchführung einer Hemikraniektomie bei malignem Mediainfarkt fest, allerdings wird bei diesen Kliniken eine Hemikraniektomie in Ausnahmefällen auch außerhalb dieses Zeitfensters durchgeführt.

Perioperatives Management – ICP-Sonde und Kontrollbildgebung

Nach Indikationsstellung zur Hemikraniektomie wird in 25,9 % (7/27) der Kliniken perioperativ eine ICP-Sonde angelegt. Eine Kontrollbildgebung wird standardisiert bei 44,4 % (12/27) unmittelbar postoperativ und bei 81,5 % (22/27) am Folgetag nach der Operation durchgeführt. Bei 33,3 % (9/27) der Kliniken erfolgt die Kontrollbildgebung nach Hemikraniektomie an beiden Tagen. Drei Kliniken gaben davon abweichende standardisierte Zeitpunkte für die Kontrollbildgebung innerhalb von 24 h bis zu Tag 5 an.

Postoperatives Management – Analgesie, Sedierung und Beatmung

Für die Dauer der postoperativen Analgesie und Sedierung nach Hemikraniektomie gibt es bei 23,1 % (6/26) der Kliniken ein standardisiertes Vorgehen. Der standardisierte Zeitpunkt der Sedierungsrücknahme variiert dabei zwischen unmittelbarer Sedierungsrücknahme postoperativ nach Hemikraniektomie (n = 2), ≤ 24 h (n = 1), ≤ 3 Tagen (n = 2) und ≤ 5 Tagen (n = 1).

Für die Sedierungsrücknahme ohne standardisiertes Vorgehen, welche der überwiegende Teil der teilnehmenden Kliniken praktiziert, werden unterschiedliche Kriterien hinzugezogen – die Einschätzung der Zunahme des intrakraniellen Druckes (klinischer Verlauf einschließlich Reaktion auf Sedierungsrücknahme, gemessener ICP-Wert, Bildgebung, Neurosonographie), die Weaningparameter (Schutzreflexe, Tubustoleranz, Beatmungsprobleme) und erwartbare Komplikationen (Ausgangszustand, pulmonale Situation, Dysphagie, Auftreten akut symptomatischer Anfälle). Eine Kontrollbildgebung wird bei 46,2 % (12/26) regelhaft vor Rücknahme der Sedierung durchgeführt.

Zur Sedierung werden überwiegend (96,2 %, 25/26) intravenöse Sedativa verwendet, eine Klinik (3,9 %, 1/26) wendet bevorzugt inhalative Sedativa an. Es kommen hauptsächlich Propofol (88 %, 22/25), Midazolam (80,0 %, 20/25) und Ketamin 40 % (10/25) zum Einsatz, Thiopental wird nur im Einzelfall (4,0 %, 1/25) und Etomidat nicht angewandt. Zur Analgesie werden überwiegend Sufentanil (88 %, 22/25), aber auch Fentanyl (12 %, 3/25) und zu einem geringen Anteil Remifentanil (4 %, 1/25) verwendet. Adjuvant werden Alpha-2-Agonisten (Dexmedetomidin 40 % [10/25], Clonidin 24 % [6/25]) verabreicht.

Osmotherapie und therapeutische Kühlung

Intravenöse Osmotherapeutika werden bei 53,9 % (14/26) der Kliniken nach Hemikraniektomie standardisiert zur medikamentösen Therapie zur Senkung des intrakraniellen Druckes angewandt. Davon wird bei 71,4 % (10/14) der Kliniken nach einem festen Schema vorgegangen. Die verwendeten Substanzen sind vorrangig Mannitol (78,6 %, 11/14) und hyperosmolares Natrium (64,3 %, 9/14). Eine Klinik (7,1 %, 1/14) verwendet ausschließlich Glycerosteril. Die Indikationsstellung erfolgt bei 5 Kliniken (41,7 %, 5/12) explizit auf Grundlage der Messung des intrakraniellen Druckes via ICP-Sonde.

In einem Zentrum (3,9 %, 1/26) wird eine therapeutische Kühlung nach Hemikraniektomie mit dem Ziel der Normothermie angewandt. Von den befragten Zentren hatten 23,1 % (6/26) an der Studie DEcompressive surgery Plus hypoTHermia for Space-Occupying Stroke (DEPTH-SOS) teilgenommen. In dieser randomisierten kontrollierten Studie wurde die Kombination von Hemikraniektomie und therapeutischer Hypothermie (33 ± 1 °C, über ≥ 72 h) untersucht, mit letztlich negativen Ergebnissen bezüglich der klinischen Endpunkte Mortalität und funktionelles Outcome [21].

Weaning – Dauer bis Extubation oder Tracheotomie

Die Intubationsdauer, d. h. der Zeitraum, über den die Patienten/-innen postoperativ standardisiert intubiert bleiben, variiert. Bei 15,4 % (4/26) der Kliniken wird die Extubation in der Regel direkt nach erfolgter Entlastungsoperation geplant. Die Extubation wird bei 19,2 % (5/26) ≤ 24 h, bei 30,8 % (8/26) ≤ 3 Tage und bei 19,2 % (5/26) ≤ 5 Tage angestrebt. Bei 15,4 % (4/26) der Kliniken bleibt die Intubation regelhaft über 5 Tage hinaus bestehen. Die Entscheidung zur Tracheotomie wird bei 96,2 % (25/26) der Zentren stets individuell getroffen, wenn dies aufgrund von Schluckstörung, prolongiertem Weaning oder persistierender Vigilanzminderung als klinisch notwendig eingeschätzt wird. Bei einem Zentrum (3,9 %, 1/26) wird die Indikation zur Tracheotomie nach mindestens einem erfolglosen Extubationsversuch gestellt. Die Methode der Wahl ist in den meisten Zentren mit 77 % (20/26) die Dilatationstracheotomie. Während Tracheotomien bei 19,2 % (5/26) der Kliniken bereits innerhalb der ersten 7 Tage nach Hemikraniektomie durchgeführt werden, erfolgt die Tracheotomie in 80,8 % der Kliniken innerhalb bzw. nach 14 Tagen.

Bereitschaft zur Teilnahme an klinischen Studien

Zweiundzwanzig von 26 Zentren (84,6 %) zeigten ihre Bereitschaft, an klinischen Studien zum postoperativen neurointensivmedizinischen Management und insbesondere der Dauer der postoperativen Sedierung und Beatmung teilzunehmen.

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